Familie stellt leer stehendes Haus zur Verfügung

Eine Unterkunft für Ukrainer

HERRSCHING – Nach dem Entschluss des Herrschinger Ehepaares Stumbaum-Bleeker, sein gerade zur Vermietung anstehendes Anwesen unentgeltlich den im Landkreis Starnberg ankommenden ukrainischen Flüchtlingen zu überlassen, ist eine wahre Flut von Hilfsangeboten losgetreten worden.

May-Britt Stumbaum, Nachfahrin einer seit 1648 in Herrsching beheimateten Fischerfamilie, freut sich über so viel überwältigenden Gemeinsinn. „Unsere Helferliste umfasst bereits in den wenigen Tagen 170 Einsatzwillige“, berichtet sie. Zufrieden zeigt sie sich auch mit dem Spendenaufkommen. Sieht man sie in einer Gruppe von 30 bis 35 Helfern werkeln, fragt man sich, wie das alles zu organisieren ist. Ihr Handy klingelt pausenlos. „In der nächsten Stunde erwarten wir nochmals drei Familien, die hier im Haus an der Kohlstatt Einzug halten werden“, erläutert sie. 

Durch das Hantieren mit schweren Kisten hat sich die in Vollzeit an der Bundeswehruniversität  arbeitende Politikwissenschaftlerin ein Problem mit der Halswirbelsäule zugezogen. Zuhause, das sie derzeit nur selten sieht, wartet außerdem ein dreijähriges Zwillingspärchen auf die tatkräftige Mami, die sich durch wahre Berge von bereits überlassenen Gegenständen kämpft. Aktuellen Spendern muss sie, so leid es ihr tut, eine Absage erteilen, „da wir bereits nach so kurzer Zeit aus allen Nähten platzen“. Im Haus gibt es kein leeres Eckchen, man muss achten, wo man seinen Fuß hinsetzt.   

Einer der ersten neuen Bewohner war ein ukrainischer Freund namens Iwan (45), den Stumbaum eingeladen hatte, mit seinem 12-jährigen Sohn Alex an den Ammersee zu kommen und bei ihnen zu wohnen. Dass Alex bereits in die Realschule aufgenommen wurde, empfindet Stumbaum als schieren Glücksfall.Der Bub hatte zuhause bereits ein wenig Deutsch gelernt. 

Beim Übersetzen leistet übrigens gebürtige Ukrainer Louis, der in Weßling aufwuchs, wertvolle Dienste. Was die Bürokratie angeht, so hält sich der Aufwand dafür in Grenzen. Den „Neubürgern“, erklärt die stellvertretende Bürgermeisterin Christina Reich, werde ohne große Nachweise ein Aufenthaltsstatus eingeräumt, die Kinder in Schulen und Krippen eingeschrieben. Manche konnten sogar schon in einen Sportverein aufgenommen werden, was bei den Heranwachsenden besonders gut ankomme.

Neue alte Geschichte

„Nachdem Christina Reich meine Kindergarten-Freundin ist, läuft es hier völlig reibungslos“, freut sich Stumbaum. Dass die bisherigen Flüchtlingszahlen in den nächsten Wochen noch um ein Vielfaches steigen werden, davon sind alle Helfer überzeugt. Es heißt also mit den Kräften haushalten. Dann führt May-Britt Stumbaum zu zwei einfachen Holzhütten auf dem Grundstück. Die hatte einst ihr Vater errichtet, um Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg aufnehmen zu können. „Es ist schrecklich, wie sich Geschichte wiederholen kann“, sagt Stumbaum erschüttert. 

Renate Reitzig

26.03.2022 - Bistum Augsburg , Krieg